Die Hälfte der Familien mit Invaliden in finanziellen Schwierigkeiten

Eine weitläufige Untersuchung der Christlichen Krankenkasse (CKK) und ihrer Bewegungen Alteo und Samana zeigt auf, dass die Hälfte der Familien, in denen ein Angehöriger Invalidengeld bezieht, mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten am Monatsende zu kämpfen hat. Manche sind sogar gezwungen, medizinische Behandlungen zu verschieben. Und die Rückkehr an den Arbeitsplatz ist nicht immer einfach: 83 Prozent der Invaliden konnten seit Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht mehr arbeiten.

Als Invalide gelten Versicherte - ob selbstständig oder lohnabhängig erwerbstätig -, die seit mindestens einem Jahr arbeitsunfähig krankgeschrieben sind. Dieser Status eröffnet ihnen den Anspruch auf Invalidengeld im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die CKK, Alteo (Sozialbewegung für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung) und Samana (früher Ziekenzorg) wollten sich ein genaueres Bild von der sozialen und finanziellen Lage dieser Menschen und ihrer Familien machen. Zahlreiche Sozialarbeiter und Freiwillige innerhalb der CKK und ihrer Bewegungen haben deshalb 500 Menschen aufgesucht, die Invalidengeld beziehen, und mit ihnen zu Hause gesprochen.

Auf Kosten der Gesundheit!

Die Untersuchung zeigt, dass 50 Prozent der Familien, in denen ein Versicherter Invalidengeld bezieht, Schwierigkeiten haben, mit ihrem monatlichen Einkommen zu leben. Etwas mehr als 40 Prozent mussten Heilbehandlungen verschieben.Die Familien der befragten Invaliden geben im Schnitt 243 Euro im Monat für Gesundheitsleistungen aus. Sie verfügen durchschnittlich über 2141 Euro. Das entspricht 11% des Einkommens, ein enormer Anteil. Zum Vergleich: eine Gesundheitsumfrage aus dem Jahr 2013 ergibt, dass ein belgischer Haushalt im Schnitt 108 Euro für Gesundheitsleistungen ausgibt, d.h. 5% seines Budgets.

Seine monatlichen Ausgaben mit einem schwindenden Einkommen, ja sogar ausschließlich mit dem Invalidengeld bestreiten zu müssen, ist nicht leicht. Mehr als eine von vier Familien mit einem Invaliden wird finanziell oder mit Sachleistungen von Angehörigen, Freunden, Wohltätigkeitsorganisationen unterstützt. Bei Invaliden mit Kindern, bei alleinstehenden Invaliden und unter 45 Jahren ist die Situation besonders schwierig.

„Das Invalidengeld ist alles andere als großzügig. Die Schwierigkeiten sind ganz besonders groß für Alleinstehende. Aus diesem Grund müssen die Geldleistungen auf ein Niveau angehoben werden, das ausreicht, um den Invaliden und ihren Familien ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen“, erklärt Jean Hermesse, Generalsekretär der Christlichen Krankenkassen.

Wieder arbeiten?

Die große Mehrheit der Invaliden äußert sich pessimistisch oder hält sich angesichts ihres Gesundheitszustands für völlig unfähig je wieder zu arbeiten. Zum Zeitpunkt der Umfrage hielten sich lediglich 8 Prozent der befragten Invaliden für fähig, in Zukunft die Arbeit wieder aufzunehmen. Die Dauer der Invalidität und das Alter spielen eine wesentliche Rolle bei der Aussicht auf die erneute Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, was so viel heißt wie: je jünger der Betroffene, umso kürzer ist auch seine Invalidität und umso optimistischer wird auch die berufliche Wiedereingliederung beurteilt. „Es ist wünschenswert, dass alles getan wird, um möglichst viele Menschen, die arbeitsunfähig krankgeschrieben sind, wieder in das Erwerbsleben einzugliedern. Und die CKK steht voll hinter diesem Vorhaben. Aber zu glauben, dass die große Mehrheit der Invaliden wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren kann, ist völlig abwegig“, meint Jean Hermesse. „Die berufliche Wiedereingliederung unter Androhung von Strafen oder Ausschluss funktioniert jedenfalls nicht! In diesem Fall erleben wir, dass die Betroffenen rückfällig werden. Wir brauchen hier für eine konstruktive Dynamik“.

Den Invaliden die Schuldgefühle nehmen

Zwischen 2010 und 2015 ist die Zahl der Invaliden (Arbeitnehmer und Selbstständige zusammen) von 278 071 auf 370 408 gestiegen. „Die rasante Zunahme wirft Fragen auf! Hier geht es nicht um den Missbrauch des Invalidenstatus‘, sondern um demografische, soziologische und politische Entscheidungen. Die Bevölkerungsalterung, der wachsende Anteil Frauen am Arbeitsmarkt, die progressive Anhebung des Rentenalters, ... Ohne politische Veränderungen werden die Zahlen weiterhin steigen“, so Jean-Hermesse. Im Jahr 2022 könnte die Zahl der Invaliden die Zahl von 516 000 überschreiten und die Geldleistungen für Invaliden auf 6,8 Milliardes Euro steigen (1,7 Milliarden Euro mehr als 2016).

In die Prävention investieren

Die CKK und ihre Bewegungen sind der Meinung, dass in erster Hinsicht präventiv gehandelt werden muss, um das Risiko der Arbeitsunfähigkeit zu senken. Bekanntlich sind die (körper-lichen und psychosozialen) Arbeitsbedingungen wesentliche Gründe für Krankheitsausfälle. Deshalb muss unsere Aufmerksam gerade diesen Bereichen gelten. Alle Maßnahmen der Regierung Michel zur Anpassung der Arbeitsbedingungen am Ende des Arbeitslebens erhöhen lediglich den Druck auf die Invalidenversicherung (Ausschluss vom Arbeitslosengeld, Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre und Verschiebung des Vorruhestands, Einschränkungen der Vorruhestandsentschädigungen, …). „Wir bräuchten hingegen massive Neuinvestitionen in die Anpassung der Arbeitsbedingungen am Ende des Arbeitslebens, unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands der Arbeitnehmer, wie das in den skandinavischen Ländern der Fall ist“, plädiert Jean-Hermesse.