Page 7 - Miteinander_4_2018
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„Die soziale Sicherheit muss sich auch in Zukunft dynamisch und flexibel weiterentwickeln und sich entsprechend einer schwan- kenden Wirtschaftslage entwickeln“, argumentieren die Auto- ren der bereits zitierten historischen Arbeit (siehe unten) und führen mehrere Argumente für die Verbesserung der sozialen Sicherheit der Selbstständigen auf: das derzeitige sehr beschei- dene System, die Vermehrung gemischter beruflicher Laufbah- nen, die Notwendigkeit, Hindernisse für die Umschulung zu beseitigen und die Annahme dieses Status ... „Zu den klassischen sozialen Risiken kommen noch neue Bedürfnisse hinzu“, fügen sie hinzu und nennen als Beispiele Stress und Burn-out, Schwie- rigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
„Heute sind Selbstständige und Arbeitnehmer den Anforderun- gen eines Wirtschaftssystems unterworfen, das sie in vielerlei Hinsicht einander näher bringt“, bemerkt Pierre Reman, Experte für Fragen der soziales Sicherheit. „Das Proletariat besteht in beiden Systemen, und morgen werden die Plattformwirtschaf- ten die Arbeiter weiter schwächen, wenn wir sie nicht regulie- ren. Als Reaktion auf die zunehmende Verarmung geht der Trend in Europa dahin, allen beruflichen und sozialen Gruppen einen Mindestschutz zu bieten. Eine Statusangleichung erfolgt daher insbesondere auf diesem Wege“.
 Mehr solidarische Finanzierung? 
„Wir stellen die Legitimität eines besseren Sozialschutzes für Selbstständige nicht in Frage“, sagt Chris Serroyen, Leiter der Forschungsabteilung der CSC. „Aber die Selbstständigen müs- sen die Kosten hierfür selbst tragen. Die sozialen Verbesserun- gen, die sie von den letzten Regierungen erhalten haben, wer- den jedoch zu einem großen Teil vom Staat bezahlt. In ihrem System sind die Sozialversicherungsbeiträge degressiv und begrenzt. Die Sozialversicherungsbeiträge sind daher nicht fair und gerecht nach der Höhe des Einkommens verteilt“, ereifert Chris Serroyen sich weiter. „Darüber hinaus zahlen nebenberuf- lich tätige Selbstständige Beiträge ohne Anspruch auf Leistun-
Die Selbständigen in Zahlen
Seit 2014 steigt die Zahl der versicherungspflichtigen Selbstständigen und der mithelfenden Selbstständigen stetig an. Im Jahr 2017 gab es 1.087.763 Selbstständige, darunter 10,5% Starter.
Sie lassen sich wie folgt aufschlüsseln:
○ 65,1% Männer und 34,9% Frauen.
○ 66,5% im Hauptberuf, 23,8% im Nebenberuf und
9,7% üben auch als Rentner noch eine
selbstständige Tätigkeit aus
○ 89% der Selbstständigen haben die belgische und
11% eine ausländische Staatsangehörigkeit. Rumänische, niederländische und französische Nationalitäten sind am stärksten vertreten.
Seit dem 1. Januar 2017 können Studierende sich für den neuen Status eines selbstständigen Studierenden ent- scheiden. Am 31. Dezember nutzten 5008 Studierende diese Möglichkeit, davon fast die Hälfte in den freien Beru- fen. Ferner sind 541.634 Selbstständige im Ruhestand.
gen in diesem System, es sei denn, sie leisten Beiträge bis zur Höhe einer Haupttätigkeit. Da sind schon noch einige Fragen offen“
Besteht also zwischen den Selbstständigen keine Solidarität? Renaud Francart antwortet: "Eine Abschaffung der Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge wäre kein gutes Signal. Das Risi- ko, dass Selbstständige dann eine Gesellschaft gründen, von der sie sich als Arbeitnehmer beschäftigen lassen oder ins Ausland abwandern, ist nicht unerheblich, und der Nutzen einer solchen Maßnahme wäre zweifellos gering. Und warum sollten wir die Beitragssätze erhöhen, wenn der Haushalt einen Überschuss aufweist? Schließlich wird die Solidarität bei den Selbstständi- gen auf andere Weise ausgeübt: Mit Ausnahme der Renten, für die es eine zu niedrige Obergrenze gibt, sind die Zulagen und Entschädigungen pauschal, egal wie hoch die Beitragszahlun- gen sind. Dieses Gleichgewicht zwischen Solidarität und Versi- cherung ist sinnvoll“.
(1) Grand baromètre de la sécurité sociale des indépendants, UCM, Februar 2018. Zu lesen auf www.ucm.be.
Für weitere Informationen ...
(Website des LISVS zum 50. Jahrestag der Sozialversicherung der Selbstständigen)
De sociale zekerheid van zelfstandigen in België, 1937-2017. Solidariteit en verantwoordelijkheid, P. Heyrman, J. Colla und N. Lambrichts, von Zenito in Zusammenarbeit mit KADOC-KUL veröffentlichte Arbeit, 311 S., 2017
Kostenlos erhältlich (Versandkosten: 10 Euro) bei Zenito unter 02/212.22.67 oder zenito.dienstcommunicatie@zenito.be
Welches Budget?
Im Jahr 2016 beliefen sich die Sozialversicherungseinnah- men für Selbstständige auf 6,466 Milliarden Euro und die Ausgaben auf 6,139 Milliarden Euro. 300 Mio. stehen also zur Verfügung, wie im Jahr 2017 und voraussichtlich auch 2018.
Zum Vergleich: Das System für Arbeitnehmer verfügt über eine zehnmal höhere Haushaltsmasse. Der Anteil der Sozi- alversicherungsbeiträge an den Einnahmen ist höher als bei den Selbstständigen (74%), der Anteil der staatlichen Subventionen ist geringer (13%) und die alternative Finan- zierung ist ähnlich (10%).
Renten und Gesundheitsfürsorge machen jeweils 37% der Leistungsausgaben aus, Arbeitslosigkeit 12%, Geldleistun- gen bei Krankheit und Invalidität 11% und Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten 1%.
Zu bemerken ist, dass das Kindergeld nicht mehr in den föderalen Ausgaben der Sozialversicherung erscheint.
miteinander
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www.happyindependentsyear.be
Quelle: LIVSV Geschäftsbericht 2017
MITEINANDER 4/2018 |7
soziales


































































































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